Wege und Strategien aus der Krise – Experten-Interview mit Christian Kohlhof | COA Academy
[München – 03.04.2020] Wir fragen – HR-Experten mit diversen fachlichen Hintergründen antworten. Diese reflektierten Perspektiven und Einschätzungen sollen ein Stück weit dabei helfen, die aktuell für viele unübersichtliche Situation im Zuge der Corona-Krise und die damit verbundene Informationsflut etwas besser zu sortieren: Was sind direkte Auswirkungen, substantielle Herausforderungen, aber auch welche Strategien braucht es und wo ergeben sich Chancen. Es gilt, für uns alle besser zu verstehen, was nun wirklich wichtig ist – speziell für Startups und KMU, aber auch für andere Organisationen.
“Das Wichtigste ist Cash. Diejenigen Unternehmen, die aus der Krise rauskommen und dann noch Cash-Reserven haben, können überleben.”
Was tun in der Corona-Krise? Wir fragen HR Experten zu den Herausforderungen, Strategien und Chancen
(10) … heute mit: Christian Kohlhof von der COA Academy
Anmerkung: Mit der im Folgenden verwendeten Bezeichnung “kleinere Unternehmen” sind primär Startups, KMU und auch Non-Profit-Organisationen in einer Beschäftigtengrößenklasse von bis zu 50 Mitarbeitern gemeint. Gleichwohl treffen die von den Experten genannten Aspekte vielfach auch auf größere Organisationen mit mehreren Hundert oder Tausend Beschäftigten zu.
Themenfeld: “Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise”
staffboard: Christian, Du bist erfolgreicher Mehrfach-Unternehmer und arbeitest als Coach u.a. zum Thema Führung. Welche Herausforderungen siehst Du durch die aktuelle Corona-Krise auf (v.a. kleinere) Unternehmen zukommen?
Christian Kohlhof: Ich sehe zwei ganz große Themenfelder.
Das Wichtigste ist Cash. Diejenigen Unternehmen, die aus der Krise rauskommen und dann noch Cash-Reserven haben, können überleben. Deswegen rate ich im Moment den von mir unterstützten Unternehmen oder allen, die es von mir hören wollen, was die Kosten angeht voll auf die Bremse zu gehen.
Das heißt: So viel Geld wie möglich über Fördermaßnahmen reinzuholen. Gleichzeitig gilt es, den Cash-Abfluss so hart wie möglich zu stoppen und zu schauen: „Wie lange schaffen wir es noch?“. Wenn ich in drei Monaten noch Cash habe, dann kann ich mit Energie aus der Krise rausgehen. Es wird viele Arbeitslose geben und viele Freelancer, die dann keine Jobs haben werden. Wenn ich dann in meinem Unternehmen genügend Geld habe, kann ich diese freien Kapazitäten nutzen, um aus der Krise heraus durchzustarten. Ich kann auf der Cash-Seite nicht stark genug bremsen!
Die zweite Herausforderung ist: Was mache ich mit den Mitarbeitern?
Wichtig ist eine ganz klare und vor allem ehrliche Kommunikation. Auch zum Beispiel über das Thema Cash, etwa:
„Wir gehen jetzt in Kurzarbeit. Wir machen jetzt folgende Maßnahmen.
Warum machen wir das alles? Damit wir aus der Krise kommen und erstens noch leben und zweitens vielleicht gewinnen können.
Was machen wir dafür? Wir ziehen diese ganzen Maßnahmen durch. Wir stoppen sämtlichen Cash-Abfluss und sehen zu, das Cash reinkommt, wo immer möglich.
Und wie machen wir das? Knallhart!
Wenn wir das machen, haben wir eine Chance – und wenn wir es nicht machen, ist unser Unternehmen vielleicht in zwei Wochen insolvent!“
Warum ist das aus Deiner Sicht “mission critical” für viele (kleinere) Unternehmen und damit potentiell gefährlich für deren Fortbestehen?
Nicht nur „mission critical“, sondern „company critical“. Es geht jetzt nicht darum, irgendwie ein Projekt noch fertig zu kriegen oder kurzfristige Ziele umzusetzen. Es geht darum, die eine Chance zu nutzen und zu überleben.
“Gutes Management und Führung sind unabhängig von der Krise – und in der Krise nochmal deutlich wichtiger!“
Themenfeld: “Mitarbeiter, Führung und HR”
Aus Deiner bisherigen Erfahrung bei der Führung von Mitarbeitern: Was macht diese Situation mit den Menschen? Und welche Effekte erwartest Du für die Führungskräfte und Mitarbeiter in (kleineren) Unternehmen? Was braucht es, um zielgerichtet damit umzugehen?
Eine Aufgabe für mich als Unternehmer und als Manager ist es, Komplexität zu reduzieren. Die Welt draußen ist VUCA [Anm. d. Red.: VUCA steht für volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität, d.h. Vielfalt und Dynamik), ambiguity (Mehrdeutigkeit)].
Im Unternehmen will ich aber, dass es weniger komplex ist: Ich will jemanden haben als Mitarbeiterin, die ihren Job als Fachkraft macht, die ihre Aufgaben erledigt, z.B. Buchhaltung oder Sales.
Allerdings kann ich diese Komplexität im Moment nicht draußen halten: Die Welt knallt jetzt unvermittelt und unvermindert ins Unternehmen rein.
Ich darf auch als Führungskraft sagen: „Es überrascht mich. Ich habe keine Ahnung, was wir jetzt machen. Wir fangen mal an mit Wiederbelebungsmaßnahmen, wir stabilisieren den Kreislauf, wir kümmern uns um Cash, und versuchen dann – wie in einer Notaufnahme – die nächsten Funktionen schrittweise wieder herzustellen.“
Ich werde auch oft sagen: „Ich weiß es auch nicht. Und vielleicht ist es nächste Woche wieder anders. Und vielleicht habe ich nächste Woche tatsächlich eine andere Meinung.“. Dann ist das so.
Wichtig ist aber auch die Kompetenz meiner Mitarbeiter. Wenn ich der Schlaueste im Raum bin, dann habe ich beim Einstellen etwas falsch gemacht. Meine Mitarbeiter sind die Experten für die verschiedensten Themen. Das heißt, ich darf auch meine Mitarbeiter um ihre Meinung und Vorschläge fragen und zugeben: „Leute, ich habe keine Ahnung. Was würdet ihr denn machen?“ Und trotzdem wird von mir erwartet, dass ich Entscheidungen treffe.
Als langjähriger Unternehmer und Coach weißt Du um die Bedeutung des HR Bereichs (Human Relations/Personalwesen). Wie bewertest Du die Rolle von HR? Was kann – oder sogar: muss – HR tun, um eventuell gegenzusteuern und die Organisation weiter zu stabilisieren?
Gutes Management und Führung sind unabhängig von der Krise – und in der Krise nochmal deutlich wichtiger! Es gilt, die Sachen fortzusetzen, die ich sowieso mache, wie etwa mit meinen Mitarbeitern zu kommunizieren, meine Ziele klar zu formulieren, über Ergebnisse zu sprechen, die richtigen Mitarbeiter an Bord zu holen, die nicht passenden Mitarbeiter dann auch wieder ziehen zu lassen, die geeigneten Meetings durchzuführen und vieles mehr.
Jetzt ändert sich etwas: Alle sitzen im Homeoffice. Im Büro passiert sonst viel Führung, auch so im „Vorbeilaufen“ oder nebenbei beim Kaffeetrinken, beim Essen oder wenn der Mitarbeiter in der Tür steht und sagt „Hast Du mal fünf Minuten?“. Das fällt jetzt alles weg. Zum Beispiel hatte ich gestern ein Coaching-Gespräch und die Teamleiterin sagte, sie telefoniert jetzt jeden Tag eine halbe Stunde mit jedem Mitarbeiter. Aus meiner Sicht ist das definitiv nicht zu viel.
Morgens ein kurzer Check-in, mittags vielleicht nochmal ein gemeinsames Gespräch zur Klärung von Fragen und dann abends nochmal ein Update. Wenn ich das schaffe, einen Mitarbeiter mit der halben Stunde am Tag zu führen, ist das in der Phase schon ziemlich gut.
“Ich glaube, dass alle guten Unternehmen ihre HR mittlerweile schon digital machen und dabei immer digitaler werden.
Wer sich jetzt noch die Frage stellt, ob digitale HR Lösungen sinnvoll sind, der darf sich die Frage stellen, ob er nicht schon so weit hinten dran ist…”
Themenfeld: “Digitalisierung, Kompetenzen und Mindset”
Welches Mindset und welche Kompetenzen brauchen (kleinere) Unternehmen, um gestärkt aus dieser Krisensituation hervorzugehen?
Es ist zurzeit sehr einfach, sich mit der Krise zu beschäftigen. Ich mache den Fernseher an, schaue auf LinkedIn oder in meine WhatsApp-Gruppen: Überall Krise und die neuen Nachrichten und Zahlen und Statistiken. Und das ist alles spannend und auch total unterhaltsam. Davon kann ich mich leicht ablenken lassen, wenn ich das erlaube.
Du meinst, die Gefahr, dass man sich vor den wichtigen unternehmerischen Fragen drückt?
Genau, weil es gerade so einfach ist. Klar, die ersten zwei Wochen ging es darum, wo kriege ich meine Fördermittel her. Dann geht es jetzt vielleicht noch eine Woche drum, ob ich jetzt alle Mitarbeiter in Kurzarbeit schicke. Oder welche Verträge ich noch kündige. Was ich mit der Miete mache.
Das ist bald vorbei. Als Unternehmer brauche ich jetzt eine gute Routine und eine gute Gewohnheit, mich selber zu entwickeln, mein Unternehmen zu entwickeln und in die Zukunft zu denken. So habe ich eine Chance, da auch noch mehr zu verändern als meine Konkurrenz.
Aber wie soll ich das anstellen? Und wie zeigt sich das richtige Mindset konkret?
Zum Beispiel kann ich die Zeit nutzen, um mir die richtigen Fragen zu stellen:
– Was machen wir danach?
– Wie erfinden wir uns neu?
– Gibt es unser Produkt in drei Monaten noch?
– Was ist, wenn wir erst in sechs Monaten wieder hochfahren?
– Wie fange ich an, in der Zwischenzeit trotzdem Geld zu verdienen?
Es ist diese Frage nach dem Danach – ohne zu wissen, wie es danach sein wird und wann das Danach kommt. Beschäftigt Euch damit!
Welche Rolle kann Digitalisierung spielen, um Antworten in der Krise zu finden?
Die Digitalisierung spielt definitiv eine zentrale Rolle. Vielleicht eine ganz kurze Anekdote dazu: Ich habe zwei Töchter im Teenageralter und ich merke, dass sich die Schule gerade extrem schwer tut mit Angeboten. Sie bekommen einfach per E-Mail die Aufgaben zugeschickt und dann schicken sie die Lösungen per E-Mail zurück, und dann erhalten sie von dem Lehrer wieder per E-Mail ein Feedback. Von der Kommunikation her sind wir da gefühlt irgendwie in den Achtzigerjahren des letzten Jahrtausends…
Ein Bekannter sagte dazu: „Wenn die Schule deiner Kinder immer noch ausschließlich per E-Mail kommuniziert, dann überlege besser mal, ob das die richtige Schule ist.“ Es ist vielfach eine asynchrone Kommunikation, die überhaupt nicht zeitgemäß ist.
Insofern denke ich, es müssen unbedingt andere Lösungen her, bzw. können die Lösungen, die es gibt auch besser genutzt werden. Alles, was jetzt noch nicht digital ist, war sowieso schon Investitionsstau oder Entwicklungsverzug.
Können digitale HR-Lösungen einen Mehrwert bringen?
Die Menschen nutzen die Tools und Tools werden auch besser mit der Zeit. Ich glaube, dass alle guten Unternehmen ihre HR mittlerweile schon digitaler machen und dabei immer digitaler werden.
Auch wenn es sich für manche früher vielleicht ungewohnt anfühlt, mit digitalen HR Tools zu arbeiten: Irgendwann wird es einfach ganz natürlich sein. Wie in der neolithischen Revolution, als die Leute angefangen haben, Feuer zu machen und Handkeile zu verwenden. Da gab es bestimmt auch die Diskussion: „Sag mal, Handkeile, findest Du das gut? Feuer, macht das Sinn?“ Ja, klar! Unbedingt!
Wer sich jetzt noch die Frage stellt, ob digitale HR Lösungen sinnvoll sind, der darf sich vielleicht die Frage stellen, ob er nicht schon so weit hinten dran ist…
“Wir lernen auf der einen Seite, dass Online Tools extrem wichtig sind und dass jeder damit einfach umgehen wird. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir uns wieder sehr freuen werden, unser normales kulturelles Leben zu haben. So wird die Wertschätzung für Sachen, die wir vorher als selbstverständlich genommen haben, enorm sein.“
Themenfeld: “Chancen, Gewinner und Ausblick”
Lass uns eine Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch neue Chancen mit sich bringt. Wie siehst Du das? Welche Chancen siehst Du und warum?
Ja, es gibt diese Chancen. Die sind für jeden anders. Es gibt kein Patentrezept oder allgemeine Empfehlungen im Sinne von „Ich muss jetzt das machen oder das machen.“
Das Einzige, was aus meiner Sicht definitiv Sinn ergibt ist mein Statement vom Anfang: Mit Cash aus der Krise herausgehen und dann durchzustarten. Alles andere ist von Unternehmen zu Unternehmen, von Branche zu Branche unterschiedlich, und natürlich auch sehr stark davon abhängig, wann wir da wieder rauskommen.
Auch wenn Du kein Hellseher bist interessiert uns Deine Einschätzung: Welche Unternehmen bzw. Branchen werden aus Deiner Sicht am meisten profitieren, wenn die Krise wieder vorbei ist und so etwas wie “Normalität” einkehrt? Warum gerade die von Dir genannten?
Wir lernen auf der einen Seite, dass Online Tools extrem wichtig sind und dass jeder damit einfach umgehen wird, etwa ein Video-Teammeeting zu machen und dann begeistert ist, wie gut das funktioniert. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir uns wieder sehr freuen werden, unser normales kulturelles Leben zu haben. Kultur ist jetzt sehr breit gefasst. Ich persönlich freue mich schon wieder auf den Biergarten oder einfach rauszukommen, eine Pizza essen zu gehen.
Ich glaube, die Wertschätzung für die Sachen, die wir vorher als selbstverständlich genommen haben, wird enorm sein. Ich glaube, Reisen wird wieder spannend. Reisen wird nicht mehr so selbstverständlich sein, wie es bis jetzt war. Und höchstwahrscheinlich wird es auch in kultureller Sicht viel mehr Möglichkeiten geben, zum Beispiel Konzerte online zu übertragen. Vielleicht wird das der neue Standard? Auch wenn ich beispielsweise nicht in die Oper gehen kann wird das Stück grundsätzlich auch online übertragen, weil die Infrastruktur dann einfach da ist. Ich glaube, unser Sozialleben kann enorm davon profitieren.
Christian, als abschließende Frage: Was sollen Unternehmer und HR von Dir mitnehmen?
Was mir extrem wichtig ist, ist der Punkt Management und Führung. Dieses Thema ist jetzt in der Phase umso wichtiger, wo ich die Leute nicht jeden Tag persönlich sehe. Es ändert sich nichts, nur dass es noch wichtiger wird.
Über unseren heutigen HR Experten:
Ich bin Unternehmer, Gründer und Physiker und habe 2003 chicco di caffè gegründet und auf-gebaut, einen führenden Anbieter von Kaffee-spezialitäten-Bars in der Gemeinschaftsverpflegung von großen Unternehmen. Bis zu meinem Rückzug aus der operativen Geschäftsführung hatte das Unternehmen ca. 350 Mitarbeiter. Schon lange sind Management, Führung und Kommunikation meine Herzensthemen und deshalb habe ich zusammen mit meinem Partner Michael Portz die COA Academy, die „Chief of Anything-Academy“, ins Leben gerufen. Dort helfen wir Unternehmern bzw. „Chefs“ in einem sehr breitgefächerten Chefbegriff, wie ich als Chef in entspannter Produktivität die Ziele erreiche, die ich erreichen möchte.
Christian Kohlhofs Expertise und fachlich-inhaltlicher Hintergrund:
- Leadership & Führung
- Unternehmensstrategie
- Lean Management & Agilität
- Unternehmenskultur & Werte
- Organisationsentwicklung
- Veränderungsprozesse/Wandel/Change Management
- Beratung von Unternehmen in (wirtschaftlichen) Krisensituationen