Gespräch mit Christine Herzer-Drettmann | Transforce Partners GmbH – Führungskräftecoach, Trainerin und Expertin für Change und Wertekultur

Wege und Strategien in Zeiten von Krisen und Unsicherheit - staffboard Experten-Interviews

[München – 19.08.2022]

Wege und Strategien in Zeiten von Krisen und Unsicherheit. Wir fragen – HR-Expert:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten antworten.

Der thematische Rahmen der Sommer-Interviews 2022:
„Klimakatastrophe, Corona-Pandemie, Inflation, Krieg in Europa, Energiekrise – what‘s next? Strategie und (unternehmerisches) Handeln in unsicheren Zeiten“.

In diesen schnelllebigen, von starker Unsicherheit geprägten Zeiten ist die Informationsflut oft schwierig einzuordnen. Die reflektierten Perspektiven und Einschätzungen der Expert:innen sollen einen Beitrag dazu leisten, Zusammenhänge besser zu verstehen. Wo sind direkte Auswirkungen und substantielle Herausforderungen? Aber auch welche Strategien braucht es und wo ergeben sich Chancen? Gemeinsam wollen wir herausfinden, was wirklich wichtig ist in diesen gegenwärtigen Krisen – speziell für Organisationen und die Menschen, die sie gestalten.

Unser heutiges Experten-Gespräch ist mit Christine Herzer-Drettmann, Führungskräftecoach und Trainerin im Bereich Change und Wertekultur bei Transforce Partners.

“Krisen begleiten uns permanent durch die Wirtschaft. Wir können sagen: Im Leben ist die Unbeständigkeit das Beständige.”

Was tun in Krisenzeiten bzw. von starker Unsicherheit geprägten Zeiten? Wir fragen HR Experten zu den Herausforderungen, Strategien und Chancen
(#02) … heute mit: Christine Herzer-Drettmann | Transforce Partners GmbH


Anmerkung: 
Mit der im Folgenden verwendeten Terminologie „kleinere Unternehmen/Organisationen“ sind vorrangig Startups und KMUs, aber auch Non-Profit-Organisationen in einer Beschäftigtengrößenklasse von bis zu 50 Mitarbeitenden gemeint.
Gleichwohl treffen viele der Aspekte aus der Umfrage auch auf deutlich größere Organisationen zu. Wir haben im Rahmen dieser Gesprächsreihe eine „mentale Grenze“ bei etwa 250 Beschäftigten gezogen, damit alle das gleiche verstehen, wenn wir von „kleineren Unternehmen“ sprechen. Denn aus unserer Perspektive bei staffboard sind Organisationen mit 500-1.000 Beschäftigten keinesfalls mehr klein… 😉


Bestandsaufnahme: „Raus aus der Krise, rein in die Krise?“

staffboard: Christine, Dein Hintergrund ist sehr vielschichtig. Du bist langjährige Führungskraft in unterschiedlichsten Industrien und Branchen, warst selbst auch Unternehmerin und arbeitest zudem als Trainerin im Bereich Change und Wertekultur.
Lass uns doch die letzten rund 2,5 Jahre einmal Revue passieren: Diese waren geprägt durch eine Ansammlung diverser Krisen, die teils nacheinander, teils parallel stattfanden. Kaum hatte man eine neue, schwierige Situation antizipiert oder einigermaßen gelöst, so schien es, kam schon die nächste Herausforderung mit neuen Unsicherheiten für Entscheider. 
Wie hast Du das bei Euch bzw. bei den von Dir beratenen Organisationen erlebt? Und wie bist Du damit umgegangen?  

Christine Herzer-Drettmann: In der Vergangenheit habe ich unterschiedlichste Krisen miterlebt: Ein Beispiel ist der Abbau der Textilbranche in Deutschland aufgrund der Gobalisierung. Anfang des 21 Jahrhunderts habe ich direkt den Crash der Internetblase miterlebt und die Krise nach einem Merger, als auf einen Schlag ein Drittel der Belegschaft gekündigt wurde. Und nicht zu vergessen 2008 die große Weltwirtschaftskrise. Was ich daraus gelernt habe ist, dass es immer wieder weitergeht. Vielleicht anders als zuvor, aber es muss wirklich nicht schlechter sein.

Ich möchte auch nochmals in Erinnerung rufen: Fast jeder glaubte 2001, dass das Internet „tot“ wäre. Und doch wurden die GAFAs [Anm. d. Red.: Abkürzung für Google, Apple, Facebook und Amazon, die weltgrößten Internet-Konzerne aus den USA] erst gegründet beziehungsweise richtig groß nach der Krise.

Spannend, welche Beispiele und Herausforderungen Du hier nennst. Was denkst Du: Geht das nun einfach immer so weiter, also eine Krise und Herausforderung nach der nächsten? Ist das jetzt die vielfach zitierte “neue Normalität”? Oder ist es irgendwann auch mal gut?

Hier müsste man fragen, was versteht jede*r für sich unter neuer Normalität? Krisen begleiten uns permanent durch die Wirtschaft. Wir können sagen, im Leben ist die Unbeständigkeit das Beständige. Gerade in jungen Unternehmen wechselt das Geschäftsmodell in den ersten Geschäftsjahren stark und genau die Unternehmen überleben und werden groß, die diesen Wechsel für sich managen und adaptieren können.

“Nur wer frühzeitig bestimmte Entwicklungen erkennt und darauf möglichst umgehend reagiert, trägt zur Sicherung seines Unternehmens bei.

Themenfeld: "Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise"

Welche Herausforderungen siehst Du durch die aktuelle Situation auf (kleinere) Unternehmen zukommen, besonders im Kontext Deiner breiten Erfahrungen und Expertise im HR? 

Es gibt nicht „die Herausforderung“, sondern es ist branchenspezifisch zu betrachten. Nehmen wir als Beispiel den Sektor E-Commerce, der seinen Hype durch die Coronakrise erhalten hat. Da war der Offline-Handel geschlossen, Käufe und Bestellungen erfolgten hauptsächlich über das Internet. Hier hat die Krise bestimmte Geschäftsmodelle massiv gefördert, z.B. Delivery-Services, Shoppingplattformen (Zalando, about you, etc.) … Aus meiner Sicht haben sich diese Unternehmen jetzt folgenden Herausforderungen zu stellen: Der Einbruch des Konsumverhaltens durch die Inflation und hohe Energiepreise. Oder Geld, welches zuletzt für Einkäufe verwendet wurde, geben die Konsumenten wieder für Urlaube aus. Dadurch konnten keine Wachstumsraten im Onlinegeschäft in den letzten Quartalen generiert werden. Das Resultat sind sinkende Unternehmenswerte und schwierige (Anschluss-) Finanzierungsrunden.

Man sollte also mehrere Aspekte und deren Abhängigkeiten gleichermaßen im Blick behalten. Warum ist das aus Deiner Sicht “mission critical” für viele dieser (kleineren) Unternehmen und damit potentiell existenzbedrohend? Oder findest Du das vielleicht alles etwas übertrieben?

Die meisten Wachstumsunternehmen verbrennen noch Geld und sind somit noch nicht profitabel. Sollten diese Unternehmen keine großen Cash-Reserven haben, ist das Überleben kritisch. Da helfen nur zwei Punkte: Einerseits schnell die Kosten reduzieren, um die Burn-Rate zu senken und andererseits auf einer angepassten Bewertungsbasis neues Geld zu raisen. An diesem Beispiel können wir erkennen: Nur wer frühzeitig eine solche Entwicklung erkennt und darauf möglichst umgehend reagiert, trägt zur Sicherung seines Unternehmens bei.

“In diesen Situationen braucht es eine gehörige Portion eigener Resilienz, wie bei Profisportler*innen. Ohne Resilienz nach Misserfolgen oder Verletzungen wird es schwer, zu einer sportlichen Höchstleistung zu kommen.

Themenfeld: „Menschen, Führung und Rolle von HR“

Wie erlebst Du das als Führungskräftecoach und Trainerin: Was macht diese Situation mit den Menschen? 

Bei der Frage muss ich doch ein wenig schmunzeln. Denn wir brauchen in Deutschland eine Eigenschaft, die nicht unbedingt zu unseren Stärken zählt, und das ist Flexibilität. Flexibilität, die darauf baut, dass wir als Manager*innen geeignete Lösungen finden, wie z.B. neue Produkte, Beschaffungsmärkte oder – wie in meinem vorhin genannten Beispiel – Mitarbeiter*innen abbauen. Das bedeutet, mit unangenehmen Entscheidungen umgehen zu können. 

Und was ist aus Deiner Perspektive und Erfahrung nötig, um zielgerichtet damit umzugehen?

Dies bedingt eine gehörige Portion eigener Resilienz, wie z.B. bei Profisportler*innen. Ohne Resilienz nach Misserfolgen oder Verletzungen wird es nicht einfach, zu einer sportlichen Höchstleistung zu kommen.

Siehst Du hier konkrete Handlungsempfehlungen für Entscheider und HR Gestalter? 

Gründer*innen und Manager*innen müssen alles tun, um in ihrer Stärke zu bleiben. Nur eine zuversichtliche Führungskraft kann das eigene Team in Krisenzeiten mitnehmen. Dies bedeutet, dass gerade Manager*innen sich, wie schon gesagt, resilient aufstellen und sich trauen ihr Team mit in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Denn Transparenz und Authentizität generiert Vertrauen. 

Und wie bewertest Du dabei die Rolle von HR (Human Resources / Human Relations / Personalwesen)? Ergeben sich womöglich auch spezielle Herausforderungen für diesen Bereich?

HR-Abteilungen sind für mich, wie die Bezeichnung so schön heißt, eben für Menschen da. HR begleitet wichtige Phasen im Unternehmen. Dies geht vom Recruiting der besten Talente für das Unternehmen mittels Scouting, Messen, Social Media, etc. über die Employer Journey, über Training und Weiterbildung, bis hin zu dem Zeitpunkt, wenn Beschäftigte das Unternehmen wieder verlassen.

Siehst Du dort zudem besondere Entwicklungen oder gar wichtige “Trends”, die die Zukunft prägen oder womöglich verändern werden? 

Ja, ich nehme als Trend wahr, dass das Recruiting heutzutage „der neue Vertrieb ist“ und dass es verstärkt sogenannte Boomerang-Mitarbeiter*innen gibt.

Kommen wir nun zum Thema Leadership: Welche Rolle spielt es in Eurer Organisation? Findest Du, dass sich das bei Euch in den letzten Jahren in irgendeiner Weise verändert hat? 

Nun, zunächst einmal sehe ich viele positive Entwicklungen in einer ganzen Reihe von Unternehmen. Und doch gibt es noch Branchen, wie z.B. Finanzwesen oder Versicherung, die nach meiner Meinung noch großes Potenzial in Bezug auf New Work, Design Thinking (Product/Dienstleistung) und neuer Wertekultur haben. Hingegen sind Start-ups oftmals weit vorne, müssen sich aber der Herausforderung des Wachstums stellen. Das bedeutet, dass aus einer „kleinen Familie“, dem Kernteam, schnell ein großes Unternehmen werden kann, in dem es Strukturen zu implementieren gibt, die nicht behindern, sondern das Wachstum unterstützen sollen.

“Es ist notwendig, den Verwaltungsaufwand im HR zu minimieren, damit diese Abteilung alle wirklich wichtigen Aufgaben umsetzen kann,

Themenfeld: "Mindset, Kompetenzen und (Einfluss der) Digitalisierung"

Wie können (kleinere) Unternehmen weiterhin handlungsfähig bleiben?Und welches Mindset bzw. Einstellung und welche Kompetenzen benötigen (kleinere) Unternehmen, um gestärkt aus Krisensituationen hervorzugehen und erfolgreich unter Unsicherheit zu agieren? 

In einer Aufbauphase ist es wichtig, dass sich das Gründerteam immer wieder kritisch hinterfragt, ob es in der Lage ist, Werte zu vermitteln, um Talente für sich zu gewinnen. Mitarbeiter*innen wollen einen Purpose erkennen, sich aktiv einbringen, befähigt werden etwas zu bewirken beziehungsweise mitzugestalten. Werden hier Defizite erkannt, dann kann zum Beispiel Coaching oder Unterstützung durch erfahrene Trainer hilfreich sein.

Welche Rolle kann Digitalisierung spielen, um Antworten in der Krise zu finden? Können womöglich digitale HR-Lösungen hier einen echten Mehrwert bringen?

Danke für die Frage. Für mich ist es absolut wichtig, den Verwaltungsaufwand im HR zu minimieren, damit diese Abteilung all das umsetzen kann, was ich zuvor erwähnt habe, z.B. Talente zu finden und diese weiterzubilden. Dies kann nur über prozessübergreifende Digitalisierung unterstützt werden.

“Ich glaube an das Erkennen der Chancen in einer Krise beziehungsweise Veränderung – darauf richtet sich mein Augenmerk.”

Themenfeld: "Chancen und Ausblick"

Lass uns eine bekannte Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch eine neue Chance mit sich bringt. Wie bewertest Du das in diesem Kontext? Ist das überhaupt möglich? 

Mein Augenmerk richtet sich auf das Erkennen der Chancen in einer Krise Beziehungsweise Veränderung. Und auf die Führungskräfte, die mit diesen Veränderungen umgehen müssen. Ich glaube ganz fest daran!

Welche Chance(n) siehst Du und warum?

Klar, es gibt immer Gewinner in einer Krise und es gibt natürlich auf Verlierer, die sich nicht schnell genug anpassen konnten und die Situation falsch eingeschätzt haben.

Liebe Christine, herzlichen Dank für Deine Einblicke und Erfahrungen aus Deinem (beruflichen) Leben. Lass uns mitnehmen, dass Flexibilität eine positive Eigenschaft ist, die wir am besten täglich weiterentwickeln! 

Informationen zur Gesprächspartnerin

Expertin Christine Herzer-Drettmann | Transforce Partners GmbH

Christine Herzer-Drettmanns Expertise und fachlich-inhaltlicher Hintergrund: 

  • Leadership & Führung
  • Unternehmenskultur & Werte
  • Gestaltung von Veränderungsprozessen / Wandel / Change Management
  • New Work / Zukunft der Arbeitswelt
  • Unternehmensfinanzierung

Über unsere heutige HR Expertin: 

Mein Name ist Christine Herzer-Drettmann. Ich war in unterschiedlichen Branchen (Fashion, IT & Telekommunikation, Versicherung, Finance) in Deutschland und Österreich als Führungskraft tätig. Durch meine Arbeit bei internationalen Unternehmen konnte ich verschiedene Kulturen in Asien und Europa kennenlernen. In diesen Branchen habe ich Krisen erlebt, erfahren wie diese zu managen sind, aber auch wie man es besser nicht machen sollte. Ich habe ein Start-up gegründet und dieses erfolgreich aufgebaut. Seit 2020 arbeite ich bei Transforce Partners GmbH im Bereich Führungskräftecoaching und Trainerin im Bereich Change und Wertekultur.

Themenbereiche

Newsletter-Anmeldung

Letzte Beiträge

Previous

Gespräch mit Veit Wittmann | HR Manager bei Garmin Deutschland GmbH – Experte für Führung und Organisationsentwicklung, HR-Prozesse und HR-Strategie

Next

Gespräch mit Stefan Oberender | Co-Founder und COO bei FL3XX GmbH – Experte für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen in der Luftfahrtindustrie