Wege und Strategien aus der Krise – Experten-Interview mit Dario Schuler | KHRC

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[München – 31.03.2020] Wir fragen – HR-Experten mit diversen fachlichen Hintergründen antworten. Diese reflektierten Perspektiven und Einschätzungen sollen ein Stück weit dabei helfen, die aktuell für viele unübersichtliche Situation im Zuge der Corona-Krise und die damit verbundene Informationsflut etwas besser zu sortieren: Was sind direkte Auswirkungen, substantielle Herausforderungen, aber auch welche Strategien braucht es und wo ergeben sich Chancen. Es gilt, für uns alle besser zu verstehen, was nun wirklich wichtig ist – speziell für Startups und KMU, aber auch für andere Organisationen. 

“Was mir wirklich Sorgen macht – noch mehr als die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Shutdowns- sind die massiven Eingriffe in die Grundrechte der Bürger – weitgehend ohne parlamentarische Beratung.”

Was tun in der Corona-Krise? Wir fragen HR Experten zu den Herausforderungen, Strategien und Chancen 
(7) … heute mit: Dario Schuler von  KHRC GmbH

Anmerkung: Mit der im Folgenden verwendeten Bezeichnung “kleinere Unternehmen” sind primär Startups, KMU und auch Non-Profit-Organisationen in einer Beschäftigtengrößenklasse von bis zu 50 Mitarbeitern gemeint. Gleichwohl treffen die von den Experten genannten Aspekte vielfach auch auf größere Organisationen mit mehreren Hundert oder Tausend Beschäftigten zu. 

Themenfeld: "Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise"

staffboard: Dario, welche Herausforderungen siehst Du durch die aktuelle Corona-Krise auf (kleinere) Unternehmen zukommen, speziell im Kontext Deiner Expertise als erfahrener Unternehmer und Unternehmensberater? 

Dario Schuler: Akut ist die größte Herausforderung Liquidität. Ich muss als Unternehmer meine Zahlungsfähigkeit sicherstellen. Wenn ich das nicht schaffe, erübrigen sich alle weiteren Fragen. Wer nicht mehr in der Lage ist, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, wird insolvent und scheidet in der Folge aus dem Marktgeschehen aus. 

“Es gibt jetzt konkret drei Dinge, die HR tun kann: 
Erstens:  Die eigenen Kosten im Griff haben.
Zweitens: Tragfähige Lösungen für komplexe Fragen mit allen Beteiligten in kürzester Zeit entwickeln.
Drittens: Virtuelle Führung ermöglichen.”

Themenfeld: "Mitarbeiter, Führung und HR"

Aus Deiner bisherigen Erfahrung mit Veränderungsprozessen in unterschiedlichsten Situationen und Organisationen: Was macht diese Situation mit den Menschen? Was braucht es, um zielgerichtet damit umzugehen?

Der Mensch ist zuallererst immer ein soziales Wesen. Deshalb ist die aktuelle Situation nicht nur eine medizinische, wirtschaftliche und politische, sondern eben auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Die Verfügungen aufgrund des Gewaltschutzgesetzes steigen sprunghaft. Die Frauenhäuser sind voll. Gestern habe ich von jemandem gelesen, der in einer Ritterrüstung mit Schwert bewaffnet die Haustür seines Nachbarn eingeschlagen hat. Das sind die Anzeichen eines beginnenden kollektiven Lagerkollers. Und das wird schlimmer werden, je länger die Ausgangsbeschränkungen andauern.

Was mir wirklich Sorgen macht – noch mehr als die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Shutdowns – sind die massiven Eingriffe in die Grundrechte der Bürger – weitgehend ohne parlamentarische Beratung. Aber, selbst wenn man davon ausgeht, dass dieses Vorgehen „alternativlos“ wäre, was ich persönlich nicht glaube, müssen wir jetzt die Kriterien für den Exit definieren und ganz klar kommunizieren. Auch wenn damit keine Termine festgelegt werden, so wird zumindest für alle nachvollziehbar, wie die Spielregeln für die Rückkehr in etwas aussehen sollen, was man einigermaßen als „Normalität“ wird bezeichnen können. Nur so reduzieren wir Unsicherheit, nur so schöpfen die Bürgerinnen und Bürger auch wieder Zuversicht.

In Deiner beruflichen Laufbahn hast Du den HR-Bereich (Human Relations/Personalwesen) in all seinen Facetten kennengelernt. Wie bewertest Du die Rolle von HR? Was kann – oder sogar: muss – HR tun, um eventuell gegenzusteuern und die Organisation weiter zu stabilisieren?

Wenn ich mir anschaue, welche Lösungen die HR-Verantwortlichen derzeit bei uns nachfragen, dann gibt es drei Dinge, die HR tun kann:

  1. Die eigenen Kosten im Griff haben

Hier richtet sich die Nachfrage auf den Cost Optimizer, eine Methode, mit der sich die Kosten des Personalbereichs strukturieren, auf ihren Wertbeitrag untersuchen und hinsichtlich ihrer rechtlichen Disponierbarkeit clustern lassen. Der Fokus liegt also in erster Linie auf den Sachkosten der Personalarbeit und erst danach auf den Personalkosten. Der Ansatz folgt konsequent der 80/20-Regel, um schnell zu Entscheidungen zu kommen, also Konzentration auf die 20% der Maßnahmen, die 80% des Erfolgs in Bereichen wie Employer Branding, Sourcing, Performance Management oder Learning & Development ausmachen. Ziel ist es „Vollbremsungen“ oder „Rasenmäher-Methode“ zu vermeiden, also sinnvoll, zielgerichtet und differenziert bei der Kostenanpassung vorzugehen.

  1. Tragfähige Lösungen für komplexe Fragen mit allen Beteiligten in kürzester Zeit entwickeln

Hier moderieren Personalabteilungen in größeren Unternehmen mit dem Lösungs-Katalysator Workshops zu Fragen wie: „Was müssen wir tun, um unter den derzeitigen Rahmenbedingungen die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens zu sichern?“ 
Dabei werden alle relevanten Entscheider und Know-how-Träger einbezogen, um nicht nur schnelle Antworten zu liefern, sondern auch die konkreten Maßnahmenpläne für deren Umsetzung. Und um gewissermaßen in einem Schritt ein gemeinsames Verständnis über das Vorgehen und die notwendigen Prioritäten zu entwickeln.

  1. Virtuelle Führung ermöglichen

Dabei geht es um ein Leadership Development Programm, das bisher Unternehmen mit dezentralen Teams an mehreren internationalen Standorten nachgefragt haben. Jetzt ist das aber auch für kleinere Unternehmen mit nur einem Standort höchst relevant, weil sie quasi über Nacht ihre gesamte „Mannschaft“ im Home Office remote führen müssen.

“Die primäre Maßnahme lautet: Fokus auf den Kunden. Als Unternehmer muss ich den Kunden ins Zentrum meines Denkens und Handelns stellen. Der zweite Aspekt ist Vertrauen. Die Mitarbeiter einfach mal machen lassen – auch im Home Office.”

Themenfeld: "Digitalisierung, Kompetenzen und Mindset"

Welche Sofortmaßnahmen können (kleinere) Unternehmen direkt ergreifen, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben? Hast Du aus Deiner Perspektive eventuell ganz konkrete Handlungsanweisungen?

Diese Frage ist ganz schwierig zu beantworten, weil die Situation jedes einzelnen Unternehmens individuell, vielfältig und komplex ist. Und konkrete Maßnahmen müssen den individuellen Rahmenbedingungen immer angemessen Rechnung tragen. Es gibt aber vermutlich mindestens zwei Handlungsempfehlungen, die jedes Unternehmen im Moment befolgen sollte:

Erstens: Kosten anpassen – Liquidität sichern! 
Welche Sachkosten kann ich (vorübergehend) komplett eliminieren, welche kann ich reduzieren? Welche Bestände kann ich abbauen? Welche Zahlungen kann ich stunden? Welche Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten kann ich nutzen? Welche Lieferungen kann ich einstellen/reduzieren? Welche Forderungen kann ich zeitnah realisieren? All diese Maßnahmen gilt es, mit Maß und Ziel zu ergreifen. Man will weder seine Reputation als Geschäftspartner ruinieren noch sich zu Grunde sparen. Wenn wir aus dem Krisenmodus herauskommen, wollen wir möglichst rasch wieder voll im Geschäft sein. Dazu muss ich die Substanz meines Geschäfts so gut wie möglich erhalten.

Zweitens: Kreativ sein! 
Wie kann ich mein Produkt/meine Dienstleistung auch auf alternativen Wegen an den Kunden bringen, falls mir die bisherigen derzeit nicht offen stehen? Wie kann ich meine Kompetenzen einsetzen, um ggf. etwas anderes herzustellen/eine andere Dienstleistung zu erbringen, die meinen Kunden hier und jetzt einen Nutzen stiftet?

Welches Mindset und welche Kompetenzen brauchen (kleinere) Unternehmen, um gestärkt aus dieser Krisensituation hervorzugehen? Wie zeigt sich das konkret?

Der erste und maßgebliche Punkt lautet: Fokus auf den Kunden. Das bedeutet: Den Kunden ins Zentrum meines Denkens und Handelns stellen. Wir müssen uns täglich fragen, vor welchen Problemen stehen meine Kunden – jetzt? Was brauchen sie – jetzt? Und was kann ich tun, um ihnen bei dieser Herausforderung zu helfen, um ihnen in dieser Situation einen Mehrwert zu stiften. 
Das zweite Aspekt ist Vertrauen. Das heißt: Die Mitarbeiter einfach mal machen lassen – auch im Home Office. Offen sein und Ideen, neue Ansätze ausprobieren, sich zeitnah die Ergebnisse anschauen und entscheiden: machen wir weiter, probieren wir nochmal aus – aber etwas anders, verfolgen wir nicht weiter. Hier sind – denke ich – vor allem die größeren Unternehmen gefordert. Wenn die Mitarbeiter in diesen Tagen aus der Personalabteilung eines großen Autobauers hören, Überstundenregelungen seien im Augenblick kein Thema, es seien ja fast all im Home Office, und da werde ja ohnehin eher weniger als mehr gearbeitet, dann ist noch einiges zu tun.

“Jetzt erleben die Leute – live und in Farbe – wie gut man mit virtuellen Collaboration Tools arbeiten kann. Das sorgt für ein ungeheures Momentum gerade in Unternehmenskulturen, die sich damit bisher eher schwer getan haben. 
Gleichzeitig erleben Führungskräfte – und gerade die Skeptiker unter ihnen –, dass ihre Mitarbeiter im Home Office eben nicht nur mit der Kaffeetasse auf dem Balkon sitzen, sondern gewissenhaft ihren Job machen und Ergebnisse erzielen.”

Themenfeld: "Chancen, Gewinner und Ausblick"

Lass uns eine Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch neue Chancen mit sich bringt. Wie siehst Du das? Welche Chancen siehst Du und warum?

Ich gehe fest davon aus, dass, sobald wir den Krisenmodus hinter uns lassen, bei der Digitalisierung der Turbo eingeschaltet wird. Dass im Augenblick viele Unternehmen zum Remote Working „gezwungen“ sind, sorgt schon jetzt dafür, dass die IT-Infrastruktur – interessanterweise binnen kürzester Zeit – massiv weiterentwickelt wird. Ich habe den Eindruck, das sind die Rahmenbedingungen, auf die unsere IT’ler, die hier wirklich Beachtliches leisten, förmlich gewartet haben.

Jetzt erleben die Leute – live und in Farbe – wie gut man mit virtuellen Collaboration Tools arbeiten kann. Das sorgt für ein ungeheures Momentum gerade in Unternehmenskulturen, die sich mit solchen Instrumenten bisher eher schwer getan haben. Und das wird seine volle Wirkung entfalten, wenn wir wirtschaftlich wieder hochfahren.

Gleichzeitig erleben Führungskräfte – und gerade die Skeptiker unter ihnen –, dass die Mitarbeiter im Home Office eben nicht nur mit der Kaffeetasse auf dem Balkon sitzen, sondern gewissenhaft ihren Job machen und Ergebnisse erzielen.

Was möchtest Du unseren Lesern noch auf den Weg mitgeben, was Dich besonders beschäftigt? 

Es gibt ein Zitat von Alfred Herrhausen (Anm.: ehemaliger Vorstandssprecher der Deutschen Bank), das mir in diesen Tagen immer wieder durch den Kopf geht, und an das ich gerne erinnern möchte: „Freiheit -und die Offenheit, die damit einhergeht- wird uns nicht geschenkt. Die Menschen müssen darum kämpfen, immer wieder.“

Über unseren heutigen HR Experten: 

Ich bin Partner von KHRC, einer Beratung mit Expertise entlang der HR-Wertschöpfungskette und einem Fokus auf Managementmodelle für die ganzheitliche Steuerung von Unternehmen. Darüber hinaus gehört mir eine Beteiligungsgesellschaft, die auf die Fortführung von inhabergeführten Unternehmen spezialisiert ist.

Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit in beiden Rollen liegt auf der Gestaltung von Unternehmenspolitik, der Optimierung von Führung und Steuerung, dem Aufbau leistungsfähiger Organisationsstrukturen, Akquisitions- und Personalentscheidungen.

Dario Schulers Expertise und fachlich-inhaltlicher Hintergrund: 

  • Leadership & Führung
  • Veränderungsprozesse/Wandel/Change Management
  • Organisationsentwicklung
  • Unternehmenskultur & Werte
  • Aufbau und Skalierung von HR-Prozessen und Organisationsstrukturen
  • Unternehmensstrategie
  • Unternehmensfinanzierung
  • Beratung von Unternehmen in (wirtschaftlichen) Krisensituationen 

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