[Bayreuth – 16.09.2022]
Wege und Strategien in Zeiten von Krisen und Unsicherheit. Wir fragen – HR-Expert:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten antworten.
Der thematische Rahmen der Sommer-Interviews 2022:
„Klimakatastrophe, Corona-Pandemie, Inflation, Krieg in Europa, Energiekrise – what‘s next? Strategie und (unternehmerisches) Handeln in unsicheren Zeiten“.
In diesen schnelllebigen, von starker Unsicherheit geprägten Zeiten ist die Informationsflut oft schwierig einzuordnen. Die reflektierten Perspektiven und Einschätzungen der Expert:innen sollen einen Beitrag dazu leisten, Zusammenhänge besser zu verstehen. Wo sind direkte Auswirkungen und substantielle Herausforderungen? Aber auch welche Strategien braucht es und wo ergeben sich Chancen? Gemeinsam wollen wir herausfinden, was wirklich wichtig ist in diesen gegenwärtigen Krisen – speziell für Organisationen und die Menschen, die sie gestalten.
Unser heutiges Experten-Gespräch ist mit Peter Wilfahrt, beim Bundesverband Digitale Sicherheit e.V. als Vorstandsvorsitzender eine treibende Kraft. Seine Themen in dieser Rolle sowie als mehrfacher Gründer sind v.a. Digitalisierung und Digitale Transformation, insbesondere mit einem Fokus auf Digitale und IT-Sicherheit sowie Cyber Security.
“In meinem Umfeld beobachte ich durchaus eine Art Übersättigung vom ständigen Krisenmodus. […] Das darf nicht mit einem Abtun oder Ignorieren der Ereignisse gleichgestellt werden. Es geht hier vielmehr um das eigene „Normalbleiben“, da man sich selbst in der Vielzahl der globalen Krisen verrückt machen könnte.“
Was tun in Krisenzeiten bzw. von starker Unsicherheit geprägten Zeiten? Wir fragen HR Experten zu den Herausforderungen, Strategien und Chancen
(#12) … heute mit: Peter Wilfahrt | Bundesverband Digitale Sicherheit e.V.
Anmerkung d. Red.:
Mit der im Folgenden verwendeten Terminologie „kleinere Unternehmen/Organisationen“ sind vorrangig Startups und KMUs, aber auch Non-Profit-Organisationen in einer Beschäftigtengrößenklasse von bis zu 50 Mitarbeitenden gemeint.
Gleichwohl treffen viele der Aspekte aus der Umfrage auch auf deutlich größere Organisationen zu. Wir haben im Rahmen dieser Gesprächsreihe eine „mentale Grenze“ bei etwa 250 Beschäftigten gezogen, damit alle das gleiche verstehen, wenn wir von „kleineren Unternehmen“ sprechen. Denn aus unserer Perspektive bei staffboard sind Organisationen mit 500-1.000 Beschäftigten keinesfalls mehr klein… 😉
Bestandsaufnahme: „Raus aus der Krise, rein in die Krise?“
staffboard: Peter, Du bezeichnest Dich selbst als “Digital Native” und bist seit über 20 Jahren in der IT-Sicherheitsbranche tätig. Dabei hast Du auch mehrere Start-up-Unternehmen mitbegründet und teilweise verkauft. Deine große Leidenschaft sind Cyber-, IT- oder digitale Sicherheit und deren Einfluss auf den Arbeitsplatz von morgen.
Lass uns doch die letzten rund 2,5 Jahre einmal Revue passieren: Diese waren geprägt durch eine Ansammlung diverser Krisen, die teils nacheinander, teils parallel stattfanden. Kaum hatte man eine neue, schwierige Situation antizipiert oder einigermaßen gelöst, so schien es, kam schon die nächste Herausforderung mit neuen Unsicherheiten für Entscheider.
Wie hast Du das wahrgenommen und bei Euch bzw. bei den von Dir beratenen Organisationen erlebt?
Peter Wilfahrt: „Nach der Krise ist vor der Krise“ ist unsere Herausforderung. Ob Covid-19, Krieg oder Lieferengpässe, die letzten Jahren waren geprägt von einer enormen Dynamik. War diese positiv oder negativ? Das hing von der eigenen Reaktion darauf ab: War ich bzw. waren wir in der Lage, uns schnell und agil an die neue Situation anzupassen? Dann war meist alles okay.
Es stimmt: Viel liegt an der eigenen Perspektive und der unterschiedlichen Reaktion auf die Krise. Was meinst Du: Ist das jetzt die vielfach zitierte “neue Normalität”, also eine Krise und Herausforderung nach der nächsten? Oder ist es irgendwann auch mal gut?
In meinem Umfeld beobachte ich, dass es durchaus eine Art Übersättigung vom ständigen Krisenmodus gibt. Während die letzten Jahre täglich von neuen Schlagzeilen, Änderungen, Einschränkungen, schnellem Handeln und Aufrufen zur Solidarität geprägt waren, so beobachte ich eine allgemeine Müdigkeit ob der Sensation. Das darf nicht mit einem Abtun oder Ignorieren der Ereignisse gleichgestellt werden. Es geht hier vielmehr um das eigene „Normalbleiben“, da man sich selbst in der Vielzahl der globalen Krisen verrückt machen könnte.
Ich merke gleichzeitig, dass es wieder den vermehrten „Wunsch nach menschlichem Kontakt“ und das Streben nach einer Stabilität im Alltag gibt.
“Speziell im Bereich Cyber-Sicherheit sind die letzten Krisen eine große Herausforderung. Corona war ein Brandbeschleuniger der Digitalisierung, jedoch birgt eine hektische Umsetzung auch die Gefahr, dass neue Angriffsvektoren geöffnet werden.“
Themenfeld: "Risiken, Herausforderungen und Auswirkungen der Krise"
Welche besonderen Herausforderungen siehst Du durch die aktuelle Lage gerade auf (kleinere) Unternehmen und Organisationen zukommen, speziell vor dem Hintergrund Deiner Expertise?
Speziell im Bereich Cyber-Sicherheit sind die letzten Krisen eine große Herausforderung. Corona war ein Brandbeschleuniger der Digitalisierung, jedoch birgt eine hektische Umsetzung mitunter die Gefahr, dass neue Angriffsvektoren für den Betrieb geöffnet werden. Auch ist die Achtsamkeit mancher Mitarbeitender remote nicht immer so gewährleistet und ein achtloser Klick auf eine falsche Datei öffnet Angreifern Tür und Tor.
Warum ist das aus Deiner Sicht “mission critical” für viele dieser (kleineren) Unternehmen und damit potentiell existenzbedrohend? Oder ist das vielleicht doch etwas übertrieben?
Bleiben wir beim Thema Cyber-Sicherheit. Gerade in diesem Bereich müssen Prozesse und Systeme ganzheitlich betrachtet werden. Also darf eine (für die Kriminellen) erfolgreiche Cyber-Attacke nicht zum Genickbruch für das Unternehmen werden. Denkt man Prozesse IT-sicher neu, so gibt es effiziente Quick-Wins, die allen Prozessbeteiligten nützen.
Als Beispiel: muss eine Personalabteilung E-Mails mit Anhängen von externen und unbekannten Absendern empfangen? Das ist ein Muss für Bewerbungen, aber ein Worst-Case-Szenario für den CISO [Anmerkung d. Red.: Chief Information Security Officer oder auch IT-Sicherheitsverantwortlicher]. Hier kann ein Bewerberportal den Prozess digital besser gestalten, nicht nur für die HR-Verantwortlichen, sondern auch für die IT-Sicherheitsverantwortlichen. Denn die dort eingehenden Dokumente kommen am Virenscanner nicht vorbei oder können auch schon über das Portal abgesichert werden. Zugleich bekommen interessierte Bewerber:innen noch dazu eine bessere Experience. Also ist das ein Win-Win-Win für alle.
“Human Resources ist, meiner Meinung nach, mittlerweile immer mehr Human Relations. Denn gerade in Zeiten von „Distanz-Unterricht“, mobilen Arbeiten, Home-Office oder Vergleichbarem: Der Mensch ist und bleibt ein Herdentier. Wir brauchen den sozialen Kontakt, Austausch, Bestätigung und Plausch.”
Themenfeld: „Menschen, Führung und Rolle von HR“
Wie bewertest Du die Rolle von HR (Human Resources / Human Relations / Personalwesen), insbesondere in (kleineren) Unternehmen/Organisationen?
Human Resources ist, meiner Meinung nach, mittlerweile immer mehr Human Relations. Denn gerade in Zeiten von „Distanz-Unterricht“, mobilen Arbeiten, Home-Office oder Vergleichbarem: Der Mensch ist und bleibt ein Herdentier. Wir brauchen den sozialen Kontakt, Austausch, Bestätigung und Plausch – da rückt das „Human Relations“ in den Mittelpunkt.
Und auch im Kampf um die Fachkräfte mit einer besonderen Expertise – gerade im Bereich Cyber-Sicherheit sind sie sehr gefragt und umworben – macht diese persönliche Beziehung den Unterschied, ob Expert:innen wechseln oder dem Unternehmen treu bleiben.
Kommen wir nun zum Thema Leadership: Welche Rolle spielt es in Eurer Organisation? Findest Du, dass sich das bei Euch zuletzt in irgendeiner Weise verändert hat?
Führen durch Vorbild ist, meiner Ansicht nach, der beste Weg, die richtige Unternehmenskultur zu etablieren. Führen durch Vormachen zementiert nicht nur die richtigen Werte, sondern „schult“ auch den gewünschten Umgang subtil im Alltag. Natürlich ist das durch das verteilte Arbeiten und hybride Modelle nicht so einfach, aber umso wichtiger. Mein Lieblingsbeispiel ist dabei, dass ich versuche ein persönliches Treffen vor einer Videokonferenz, vor einem Anruf, vor einer E-Mail zu priorisieren. Das ist nach meinem Empfinden nicht nur effizienter, denn Rückfragen werden gleich im gemeinsamen Termin behandelt. Es stärk auch die Beziehung, das Wir-Gefühl und auch das gemeinsame Umsetzen.
“Digitalisierung sehe ich als den Enabler eines umfassenden Beziehungsmanagements. Egal ob Kundinnen oder Kunden, Mitarbeitende oder interessierte Fachkräfte – mit digitalen Prozessen können diese unterstützt und ausgebaut werden.“
Themenfeld: "Mindset, Kompetenzen und (Einfluss der) Digitalisierung"
Welches Mindset bzw. Einstellung und welche Kompetenzen benötigen (kleinere) Unternehmen/Organisationen, um gestärkt aus Krisensituationen hervorzugehen und erfolgreich unter Unsicherheit zu agieren?
Am Ball bleiben. Damit meine ich, dass man schnell und agil auf neue Anforderungen reagiert und sich um die Kundin und den Kunden bemüht. Aus unternehmensinterner Sicht können die Stakeholder dabei auch Mitarbeitende, Interessierte oder Gesellschafter:innen sein. Neben dem eigentlichen Produkt muss dabei immer auf die Beziehung und die Erfahrung der Nutzenden – also die sogenannte „User Journey“ – bedacht werden. Denn diese stärkt auch in der Krise die Loyalität und vertieft die gegenseitige Beziehung.
Welche Bedeutung misst Du der Digitalisierung bei, um Antworten in Krisensituationen zu finden? Können digitale HR-Lösungen hier einen echten Mehrwert bringen?
Digitalisierung ist der Enabler eines umfassenden Beziehungsmanagements. Egal ob Kundinnen oder Kunden, Mitarbeitende oder interessierte Fachkräfte – mit digitalen Prozessen können diese unterstützt und ausgebaut werden. IT-Systeme und -Portale helfen dabei die bisher ungenutzten Chancen anzugehen, statt diese erst aufwändig entwickeln zu müssen. Und genau diese kleinen Extras zahlen viel auf das Beziehungskonto ein.
Am Beispiel einer Bewerbung gibt es heute meist zwei Rückmeldungen: Den Eingang der Daten und später die Einladung oder hoffentlich nette Ablehnung. Was würde es aber bedeuten, wenn man Zwischenschritte einfügt? Vielleicht eine Video-Botschaft des CEOs, der die Werte des Unternehmens und das Mission Statement erklärt. Nach dem Start der Sichtung vielleicht eine persönliche Vorstellung des/der HR-Manager:in und Rückmeldung auf Basis welcher Kategorie man in den engeren Kreis gekommen ist. Und sollte es dann doch eine Absage sein, dann lasst uns das doch mit einer Einladung zur nächsten Messe kombinieren, dass man dort persönlich spricht. Vielleicht ist die geeignete Person nur wegen der schriftlichen Ausdrucksstärke und nicht aufgrund der Motivation durchs Raster gefallen? Vor Ende der Löschfrist könnte man auch nochmal auf offene Stellen hinweisen oder sogar ein kostenfreies Goodie bei der nächsten Bestellung anbieten. Chancen gibt es ungemein viele und je nach Branche noch mehr spezielle Ansätze.
“Ich kenne keine Organisation, die sich nicht durch Anpassung verbessern konnte.”
Themenfeld: "Chancen und Ausblick"
Lass uns eine bekannte Plattitüde bemühen: Gemeinhin heißt es, dass jede Krise auch eine neue Chance mit sich bringt. Wie bewertest Du das in diesem Kontext? Ist das überhaupt möglich? Welche Chance(n) diehst Du und warum?
So abgenutzt diese Phrase ist, so richtig deren Kernbotschaft. Ich kenne keine Organisation, die sich nicht durch Anpassung verbessern konnte. Sprich, dass diejenigen, die sich pro-aktiv um ihre Kundinnen und Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekümmert haben, besser, stärker und zukunftsorientierter auf dem Markt etabliert sind.
Im Gegenteil, die wahren Champions haben sich schon die letzten Jahre vorbereitet und sind mit ihrem Portfolio auf die heutige Situation angepasst – und erforschen intern schon die Herausforderung der nächsten 5-10 Jahre, um sich nicht nur für das JETZT sondern auch für die ZUKUNFT erfolgreich auf dem internationalen Parkett zu bewegen. Das sind beispielsweise Bauunternehmungen, die Digitalisierung mitdenken, Betonhersteller, die recyclebare Materialien erfanden, Gesundheitsunternehmen, die Apps vordachten, Veranstalter, die Events hybrid vordenken und viele weitere mehr.
Schönen Dank, Peter, für die sehr spannenden Einblicke aus Deinen Aktivitäten im Bereich Digitalisierung. Wie Du dargestellt hast, ist es insbesondere auch im HR ungemein wichtig, Prozesse möglichst ganzheitlich zu denken und die Perspektive der Digitalen, Cyber- und IT-Sicherheit zu berücksichtigen. Wenn dies gut gemacht wird, dann schafft man Lösungen, die allen Prozessbeteiligten und Stakeholdern einen Mehrwert bringen und die gemeinsamen Beziehungen stärken…
Informationen zum Gesprächspartner
Über unseren heutigen HR Experten:
Peter Wilfahrt, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Digitale Sicherheit e.V., ist Pionier und Vernetzer der IT-Sicherheitsbranche. In der IT Sicherheitsbranche ist er seit über 20 Jahren tätig und wurde für seine Initiativen im Bereich der IT Sicherheit und Digitalisierung ausgezeichnet. Als Unternehmer und Macher hat er selbst mehrere erfolgreiche Startups aufgebaut und hat den Fühler am Puls der Zeit.
Im Rahmen seiner diversen Aktivitäten gestaltet er den digitalen Arbeitsplatz von heute und morgen – egal ob Cyber-, IT- oder digitale Sicherheit. Dies ist ihm eine Herzensangelegenheit, um gemeinsam die Digitalisierung für alle erfolgreich zu gestalten.